Vor drei Jahren habe ich mich gefragt, wie es sich wohl anfühlt, wenn man sich von seiner Familie verabschiedet, wenn man am Flughafen steht und in das Flugzeug einsteigt, wie man Klamotten für ein Jahr in einen Koffer kriegen soll und was so die ersten Eindrücke im neuen Land sein werden.
Vielleicht hätte ich mir damals eher Gedanken darüber machen sollen, wo ich eine passende Organisation finden kann oder in welches Land ich gehen möchte. Aber mal ehrlich: wenn man den Traum entwickelt, nach der Schule ins Ausland zu gehen, dann sind das definitiv nicht die Fragen, die man sich zuerst stellt. Mit der Entwicklung des Traums kam die Vorfreude und traurige Abschiedsgedanken wurden spontan verdrängt.
In der elften Klasse habe ich mich über weltwärts schließlich für einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst beworben und wurde von meiner Organisation Open Door International e.V. (ODI) angenommen. Es folgte ein Vorbereitungsseminar online sowie in Präsenz und nach und nach fühlte ich mich ziemlich gut vorbereitet auf die zehn Monate Ecuador, die im September beginnen würden. Zehn Monate auf einem fremden Kontinent, in einem fremden Land, in einer fremden Stadt und bei einer fremden Familie.
Und plötzlich waren sie da, die letzten Tage vor der Ausreise. Ein Jahr Vorbereitung mit Impfungen und Arztbesuchen, Anschaffungen eines Koffers und Rucksacks sowie mentaler Vorbereitung auf etwas, auf das man sich aus der Ferne überhaupt nicht vorbereiten kann, war plötzlich vorbei. Ich stand vor einer meiner Anfangsfragen: Wie bekomme ich Sachen für zehn Monate in einen 100-L-Koffer? Ich kann sagen: es geht, aber man muss starke Abzüge machen.
Ohne welche Sachen fühle ich mich nicht wohl, aber welche möchte ich auch nicht kaputt machen oder verlieren? Was brauche ich für Reisen im Land und wie wird eigentlich das Wetter? Welche Dokumente benötige ich und wie oft muss ich sie kopieren? usw. Nach einigem Hin und Her konnte ich meinen Koffer am Tag der Abreise endlich schließen. Ich verabschiedete mich mit einer Freundes- und Familienfeier von allen, die mir wichtig sind. Es war schön, alle nochmal zu sehen und über die Zukunft zu reden, ohne zu ahnen, was zehn Monate eigentlich für eine lange Zeit sind.
Fragen über Fragen. Verschiedene Fragen, die in meinem Kopf wirrten. Schließlich beantwortete ich mir eine weitere Frage: Wie wird es sich anfühlen, mich von meinen engsten Freunden und meiner Familie zu verabschieden? Es fühlt sich komisch an. Es flossen einige Tränen und es gab viele Umarmungen. Ich konnte nicht einschätzen, was meine Entscheidung bedeutet. In den Augen meiner Eltern sah ich, dass es nun ernst wird und meine Ausreise bevorsteht. Ich sagte meinen Hunden auf Wiedersehen und schließlich fuhr mich mein Freund zum Flughafen.
Es war eine seltsame Fahrt – normal und doch skurril. Wir unterhielten uns wie sonst auch, sangen zur Musik mit und lachten. Als ich das erste Mal die Abfahrt zum Berliner Flughafen sah, bekam ich einen Kloß im Hals. Selbst wenn man es sonst nicht so oft bespricht oder zugeben möchte, in einer Beziehung bildet sich automatisch eine emotionale Abhängigkeit. Ich war nun an dem Punkt, dass ich mich körperlich trennen musste und die Emotionen nur noch über Videotelefonate und WhatsApp ausgetauscht werden würden. Wir setzten uns noch eine Weile in den Flughafen, stellten uns schließlich beim CheckIn an, gaben meinen superschweren Koffer ab und holten meine Bordkarte.
Der Moment war gekommen. Es war 4 Uhr am Morgen und ich weinte. Natürlich könnte ich es jetzt schönreden und sagen, der Abschied wäre nicht schwergefallen, aber was würde das bringen? Es ist hart. Sehr hart. Und trotzdem habe ich es getan, da in mir eine Vorfreude auf so viel Neues schlummerte, die mich antrieb, diesen Schritt durch die Sicherheitsschranke wirklich zu gehen. Und ich war mit meinen Gedanken und Gefühlen ja auch nicht allein.
Neele und ich flogen von Berlin zusammen nach Amsterdam und trafen dort auf die anderen Freiwilligen. Wir waren nun zu Zwölft und alle ein wenig müde sowie aufgeregt. Elf Stunden Flug lagen vor uns, die mit ein bisschen unbequemen Schlaf und einigen Filmen recht schnell vergingen.
Als wir ausstiegen, war mein Koffer einer der Ersten, der mit uns ankam, was mich sehr erleichterte. Wir warteten noch eine ganze Weile, jedoch bekam eine von uns, Kai, seinen Koffer leider nicht. Er hatte Frankfurt nicht einmal verlassen, würde aber nachgeschickt werden. Gemeinsam gingen wir durch „das Tor in eine neue Welt“, was eigentlich nur eine Tür war, in den Vorraum des Flughafens, wo viele Menschen mit Schildern auf die Fluggäste warteten. Auf einem der Schilder stand „FIIDES“, der Name unserer Partnerorganisation in Ecuador. Wir verließen die Empfangshalle des Flughafens und traten nach draußen, wo uns ein Bus abholen würde. Was meine ersten Gedanken waren, als ich auf ecuadorianischen Boden stand? Ich fragte mich, ob ich das jetzt wirklich machen würde. Und nach einem kurzen Moment der Sentimentalität sah ich Berge, Sukkulenten und Palmen. Ich war nun endlich, nach über 24 Stunden des Wachseins und 13 Stunden Flug, da.
Ecuador: meine neue, längerfristige und doch befristete Heimat.
Unsere Zeit hier in Ecuador begann mit einem Orientation Camp mit FIIDES. Wir wurden in eine Art Jugendherberge gebracht und lernten einige Sachen über Ecuador wie z.B. die Geschichte des Landes und worauf man hier achten sollte. Das Essen war super lecker und ich wohnte zusammen mit Emma, Linde und Kristina in einem Zimmer, bei welchem über der Badezimmertür keine Wand gezogen war.
Das Essen schmeckte hervorragend. Es gab Obst und Nudeln, Reis, verschiedene Bohnen sowie Toast und frische Säfte. Das Obst hier in Ecuador ist kein Vergleich zum importierten in Deutschland. Wir lernten, dass man hier das Klopapier nicht ins Klo werfen darf, sondern es in einem Mülleimer im Bad entsorgen muss – die Momente, wenn eine von uns aus dem Bad reif: „Oh nein! Ich habs schon wieder falsch gemacht!“, waren echt die Besten.
Am Freitag, dem zweiten Tag in Ecuador, lernten einige von uns ihre Projektleiter:innen kennen. So traf ich das erste Mal auf Paul, den Chef des „Jardín Alado“, in welchem ich die nächsten zehn Monate arbeiten würde. Der Jardín Alado ist ein Rehabilitierungszentrum für Vögel aus dem Regenwald. Papageien, Adler und viele mehr werden dorthin gebracht, wenn sie zum Beispiel im Straßenverkehr verletzt wurden. Die meisten werden an diesem Ort alt, da sie nicht mehr in der Lage sind, ausgewildert zu werden. Außerdem gibt es eine Farm und einen Garten, aus welchem am Wochenende das Essen für die Besuchenden zubereitet wird.
Am Samstag, den 3. September, lernte ich meine Gastfamilie kennen. Linde und ich verabschiedeten uns von den anderen und stiegen zusammen mit unserer Gastmama und unserem Gastpapa in einen Jeep, der uns in unser neues Zuhause bringen würde. Wir wohnen in Tumbaco, einem Vorort von Quito. Die Fahrweise hier in Ecuador war uns beiden völlig neu. Kaum jemand blinkte, alle wechselten die Spuren wie sie wollten und die Straßen sind von sehr gut bis schlecht ausgebaut. Wir dachten erst, dass es bei diesem, für uns „Chaos“, viele Unfälle geben müsste, aber das ist überhaupt nicht der Fall. Die Fahrweise mag verwirrend wirken, ist aber eigentlich rücksichtsvoll und der Straßenverkehr funktioniert über die Spiegel statt die Blinker.
Unser Haus liegt in der „Comuna Central“, einer Kommune recht weit oben auf dem Berg Ilaló. Hier kennen sich alle untereinander, was unseren Wohnort sehr sicher macht. Unsere Gastmama hat uns aufgenommen, als wären wir ihre eigenen Kinder. Sie zeigte uns das Haus und erklärte die unterschiedlichsten Funktionsweisen von Küche bis Bad – natürlich alles auf Spanisch. Ich hatte zwar Spanisch in der Schule, jedoch fällt mir hier die Kommunikation sehr schwer. Ich verstehe vieles, habe aber starke Probleme, meine Gedanken in Worte umzuwandeln. Aus diesem Grund habe ich angefangen, mir Vokabellisten zu schreiben, die mir im täglichen Leben nützen können. Eine Liste für Verben, eine mit Essen sowie eine mit Alltagsgegenständen, zum Beispiel Geschirr. Zusätzlich haben wir alle Spanisch-Unterricht online, der hilft, sich mehr und mehr zurechtzufinden.
Ich bin nun seit einer Woche hier und kann sagen, dass das Spanisch von Tag zu Tag ein kleines Stückchen besser wird, weil man anfängt, einfach drauf loszureden. Trotzdem muss ich gerade lernen, sehr viel Geduld mit mir selbst zu haben, da ich mehr von mir erwarte, als ich in den ersten Tagen leisten kann.
Wenn man in den Urlaub fährt, erlebt man viele neue Dinge, sieht Außergewöhnliches und lernt auch neue Kulturen kennen. Urlaube sind – zumindest, wenn man sie nicht nur im Hotel verbringt – eine Art des kulturellen Austauschs. Sie können es zumindest sein.
Mir persönlich haben Urlaube, zum Beispiel mit meiner Familie, immer großen Spaß gemacht. Ich mag es, neue Dinge zu entdecken und zu erleben sowie neue Menschen und deren Lebenswirklichkeit kennenzulernen. Schließlich habe ich mich für einen langfristigen kulturellen Austausch entschieden und jetzt bin ich hier, in Ecuador – mittendrin und nicht nur dabei.
Was ich damit meine? Wenn man reist, sieht man oft nur die touristischen Gebiete. Man lernt Leute flüchtig kennen und hat hinterher das Gefühl, das Land und die Leute zu verstehen, kennt aber eigentlich nur das, was man sich anschauen wollte. Man war für einen kurzen Moment dabei und ist schlussendlich weitergereist. Das Bild, welches bleibt, ist bearbeitet – zurecht geschnitten – unvollständig.
Ich wohne jetzt hier in Tumbaco, habe ein Zimmer und durch meine Gastfamilie ein Zuhause, zu dem ich gern komme. Ich spreche die Sprache von Tag zu Tag ein bisschen besser und bin täglich im Kontakt mit Ecuadorianer*innen. Ich arbeite mit ihnen, wir fahren zusammen Bus, kaufen gemeinsam ein, gehen in dieselben Cafés und kaufen unser Obst und Gemüse auf dem gleichen Markt. Ich schau mir nicht nur die touristischen Spots an, sondern auch das Leben – schließlich bin ich für einen gewissen Zeitraum ein Teil davon und lebe eine andere, für mich neue Lebensrealität mit.
Trotzdem muss ich auch kritisch mit mir, meinem Dasein in Ecuador und auch der Überschrift dieses Berichtes sein. Ich lebe hier und bin mittendrin, das stimmt. Der große Unterschied ist aber: ich habe mir das so ausgesucht und meine deutsche Staatsangehörigkeit bringt Privilegien mit sich, die ich nie ablegen können werde. Ich lebe so, weil ich das will. Es war meine freie Entscheidung, diese Erfahrung machen zu wollen. Ich reise, kaufe und erlebe Dinge, weil ich die Möglichkeiten dazu habe. Ich lebe hier mit den Ecuadorianer*innen zusammen, doch wir haben trotzdem Unterschiede. Auch meine zehn Monate reichen definitiv nicht aus, um das zu ändern – man kann es gar nicht ändern. Ich bin also Teilzeit mittendrin und teilweise reell dabei.
Mein Projekt ist etwas, wofür ich sehr dankbar bin. Innerhalb des letzten Monats durfte ich in den verschiedenen Bereichen des Rehabilitierungszentrum arbeiten und habe meine Lieblingsbeschäftigungen ausfindig machen können. Die Arbeit mit den Papageien ist für mich die Erfüllendste von allen. Sie sind extrem intelligent und liebevoll sowie lernbegeistert und für mich ein Symbol von Freiheit. Natürlich darf man hierbei nicht vergessen, dass sie alle eine Geschichte hinter sich haben, die von Unfreiheit und Unwohlsein sowie falschem Umgang des Menschen mit der Natur zeugt. Ich schätze hier die Arbeit der Mitarbeitenden sehr, die es mit viel Liebe schaffen, den Tieren ein lebenswertes Leben zu ermöglichen und sie teilweise wieder zurück in die Natur zu entlassen.
Ich möchte an dieser Stelle eine Geschichte erzählen, von einem Papagei, der zu uns kam, als ich gerade in diesem Bereich gearbeitet habe. Er ist auf beiden Augen blind, fast taub und hat statt schöner grüner Federn graue kahle Stellen am Körper. Tabareo, ein Amazona Farinosa, kam aus einem Haushalt, in dem er in einem kleinen Käfig gehalten wurde, nie geflogen ist und statt mit verschiedenem Obst mit Schokolade und immer den gleichen Früchten sowie Essensresten gefüttert wurde. Zu viel Zucker ist für Papageien sehr schädlich – er lässt sie erblinden und ihre Federn verlieren. Tabareo hatte am Anfang starke Angst, da er einen nie kommen hören oder sehen konnte und erst mitbekam, dass jemand bei ihm war, wenn man ihn berührte. Er fraß nicht, bewegte sich nicht und saß zitternd in einer Ecke. Mittlerweile frisst er aus der Hand und Leben kommt in ihn zurück. Seine Federn werden neu wachsen, die Augen bleiben blind – sein Schicksal hat mich stark getroffen und mich wütend werden lassen auf die Menschen und unseren Umgang mit der Natur und ihren Lebewesen. Wir zerstören eine Artenvielfalt, die nicht rekonstruierbar ist.
Des Weiteren habe ich bei den Greifvögeln arbeiten dürfen und hatte dort die Gelegenheit, einen Vogel zurück in die Wildnis zu entlassen. Vierzig Greifvögel im Jardín Alado sind nicht mehr in der Lage, ausgewildert zu werden – vierhundertsechzehn wurden es hingegen schon. Das macht mich stolz. Die Greifvögel sind für mich sehr beeindruckende und doch auch einschüchternde Tiere – bei ihnen muss ich mich noch herantasten und austesten, was meine persönlichen Grenzen sind. Flugtraining sowie an Menschen gewöhnen, gehörte hier neben dem Voliere reinigen und Wasser wechseln zu meinen täglichen Aufgaben. Ein junger Greifvogel wurde in meine Obhut gegeben und ich durfte einen Namen aussuchen. Jetzt heißt die noch sehr schüchterne und nicht flugfähige Falkendame Nala.
Meine letzte Septemberwoche arbeitete ich auf der Farm. Neben Papageien und Greifvögeln nimmt der Jardín Alado Ilalo auch Schildkröten, Hühner sowie Kaninchen in Obhut und pflegt sie. Hier habe ich mich sofort in die Babykaninchen verliebt, die erst wenige Wochen alt sind, und kämpfe mit den Hühnern jeden Morgen darum, dass ich in ihr Gehege zum Füttern komme, ohne dass sie nach draußen laufen. Die Arbeit auf der Farm beruhigt mich und lässt mich an mein zu Hause in Deutschland denken, da ich selbst zwei Kaninchen besitze. Mein Projekt ist für mich ein Ort, an dem ich mich sehr wohl und geborgen fühle. Die Tiere und Menschen fangen mich auf und sind aufrichtig dankbar für meine Hilfe und Unterstützung – das hilft mir in Momenten des Zweifelns sehr.
Neben der Arbeit verbringe ich meine Wochenenden damit, das Land und die Leute besser kennen sowie verstehen zu lernen, indem ich viel zusammen mit Linde, Emma und Kathi umher reise. Bisher haben wir die Gegend um Quito erkundet und sind derzeit dabei, Reisen in weiter entfernte Ortschaften zu planen.
Unser erster kleiner Ausflug führte uns ins Centro Histórico de Quito, in welchem wir durch kleine Gassen liefen, uns den Baustil anschauten und die Basílica del Voto Nacional besucht. Nebenbei aßen wir Empanadas, ein typisches Gericht hier, gefüllt mit Käse und überstreut mit Zucker – das kann ich auf jeden Fall sehr empfehlen. Auch sehr interessant fand ich das Casa Museo Guayasamín, ein Museum über den wichtigsten ecuadorianischen Maler und Bildhauer des 20. Jahrhunderts, Oswaldo Guayasamín. Er steht in seinen Gemälden Menschen in Unterdrückung und Verachtung bei und bringt ihr Leid zum Ausdruck. Eine seiner Bilderreihen zeigt die unterschiedlichsten Gesichter Südamerikas – Mestize, Indigene, Weiße – eine Zusammenfassung der Geschichte dieses Kontinents mit Bezug auf die Kolonialisierung dargestellt durch Gesichtsausdrücke.
Auch besucht haben wir die Termas de Papallacta, heiße Quellen, die durch Vulkane erhitzt werden und in denen man baden gehen kann. Ein sehr entspannender und wunderschön gelegener Ort mitten in den Bergen, der aber sehr touristisch überlaufen ist. Die Natur auf 3300m Höhe hat mich sehr beeindruckt. Nicht umsonst wird Papallacta auch als „Tor zum Amazonas“ beschrieben. Mit dem TelefériQo sind wir am letzten Septemberwochenende auf den Pichincha gefahren, den Hausvulkan von Quito. Der TelefériQo ist eine Seilbahn, die einen auf 4100m fährt. Von dort aus hat man einen unglaublich schönen Blick über Quito und kann weiter nach oben auf die Vulkanspitze wandern.
Wir sind auf dem Pichincha über Quito geschaukelt, haben einen Ausritt gemacht und sind ein Stück weiter nach oben gewandert. Dann zog leider ein Gewitter auf, welches uns zum Abstieg zwang. Wir lernten sehr freundliche Ecuadorianer*innen kennen, die uns eine wunderschöne Route durch die unberührte Natur zeigten. Während wir da runter wanderten, es über uns laut blitzte und donnerte und ich einmal im Matsch ausrutschte und mich auf meinen Po setzte, fühlte ich mich seit Langem wieder richtig frei. In der Natur zu sein und einfach zu merken, wie klein ich doch eigentlich auf dieser Welt bin und, dass ich gegen beispielsweise das Wetter nichts machen kann, ließ mich neben meinen Zweifeln und der Teilzeit-Traurigkeit wieder wissen, warum ich das hier mache und wofür ich kämpfen möchte: unsere Erde und das Bestehen dieser wunderbaren Artenvielfalt.
Wenn wir keine Ausflüge machen, entdecke ich das Kochen und Backen an den Nachmittagen immer mehr für mich und bin sehr gespannt, wohin mich meine freie Zeit kulinarisch gesehen noch bringen wird. Lindes und meine Tomatensaucen, Cookies oder auch Bananenbrote sind schon nahezu perfekt.
Der September war mein erster Monat hier in Ecuador und er war geprägt von Höhen und Tiefen und erfüllt von Dankbarkeit. Ich habe festgestellt, dass Sprache eine Brücke zwischen Kulturen ist und ich an meiner Brücke gerade die Pfähle baue. Ich habe gelernt, mir Zeit zu geben, meinen Kopf zu entspannen und mich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren. Ich habe gemerkt, dass ich noch Zeit brauche, um diesen Schritt zu verstehen und dass ich nicht allein bin. Ich habe meine Freunde und Familie in der alten Heimat und selbiges auch hier in meiner neuen Lebenswelt. Neben all meinen Ausflügen und Erfahrungen auf Arbeit finde ich langsam zu mir und das ist eine Reise, auf die ich euch gern weiterhin mitnehmen möchte.
Es war immer ein kleiner Traum von mir, die Welt ein Stückchen zu verbessern, und je älter ich wurde, desto mehr habe ich verstanden, dass das so einfach nicht möglich ist. Meine Zeit hier wird auch nicht direkt zu einer verbesserten Welt beitragen, sondern größtenteils mich verändern und wenn ich Glück habe, auch in eine bessere Richtung. Wenn wir uns aber alle ab und an auf uns selbst konzentrieren und Zeit für uns nehmen und uns selbst lernen zu reflektieren, haben wir dann nicht doch die Möglichkeit, die Welt ein kleines Stückchen zu verbessern?
In Deutschland bin ich noch zur Schule gegangen und hatte, in Kombination mit meinen Hobbies, dadurch auch einen Alltag. Nur besaß ich den gefühlt schon seit der Grundschule und habe einfach vor mich hin gelebt, ohne über meinen Lebensstil nachzudenken. Es war eben wie es war. Jetzt wiederum bin ich seit über vier Monaten in Ecuador. Als ich ankam, war alles neu, alles ungewohnt, alles ungeordnet. Jetzt habe ich einen festen Alltag gefunden und dadurch, dass der so neu ist und ich ihn erst erstellen musste, mehr über die Bedeutung eines Alltags nachgedacht. Alltag bedeutet für mich: alle Tage wieder. Er bringt Kontinuität und Struktur in meine Wochen und gibt mir Aufgaben. Er ist wandelbar und doch fest und er kann Motivation, Betrübtheit sowie Wut in einem auslösen.
Meine Tage starten 6:40 Uhr. Ich stehe auf, ziehe meine Arbeitssachen an und mache mich im Bad fertig für den Tag. In den meisten Fällen bin ich morgens gut gelaunt und motiviert, da ich gern in meinem Projekt arbeite und weiß, dass die Chancen gut stehen, dass ich dort einen schönen Tag haben werde. Nach dem Fertigmachen gehe ich zum Frühstück. Am Anfang fiel es mir schwer, dass wir meistens herzhaft frühstücken, mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt. Von angebratenen Kochbananen über Kartoffeln oder Reis mit Erbsen bis hin zu Toast mit Obst ist alles dabei. Mittlerweile kenne ich die Variationen, was es zum Frühstück geben kann, und weiß, von welchem Essen ich den Tag bis zum Mittag gut durchhalte und von welchem nicht. Nach dem Spülen unserer Teller gehe ich noch einmal in mein Zimmer und habe noch ungefähr eine Stunde Zeit, bis ich zur Arbeit gehe. Diese freie Zeit nutze ich meistens zum Telefonieren oder auch, um Tagebuch zu schreiben und ein wenig zu entspannen. Die Telefonate mit meiner Familie sowie Freund:innen bereichern mich sehr und helfen mir, kein extremes Heimweh zu entwickeln. Zu meiner Arbeit nehme ich drei verschiedene Busse und laufe dann noch ca. 15 Minuten einen Berg hoch. Wenn ich Glück habe, kommt zu diesem Zeitpunkt ein Arbeitskollege von mir mit dem Auto und ich bekomme eine Mitfahrgelegenheit. Gegen 9:30 Uhr beginne ich in immer unterschiedlichen Bereichen zu arbeiten.
Nach der Arbeit fahre ich wieder nach Hause und dann beginnt der Teil des Tages, mit dem ich bisher noch sehr unzufrieden bin. Ich habe fast nichts zu tun und bin noch nicht genügend integriert, als das ich ein Hobby hätte, welchem ich nachgehen könnte. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, in dieser Zeit Spanisch zu üben, jedoch fehlt mir dazu meistens die Kraft. Also liege ich in meinem Bett und schweife mit meinen Gedanken in die unterschiedlichsten Bereiche ab. Manchmal backen Linde und ich etwas, um uns die Zeit zu vertreiben, doch in den meisten Fällen bin ich nachmittags ziemlich verloren und deprimiert. Ich habe das Gefühl, in Deutschland viel mehr Kraft für viele Dinge gleichzeitig gehabt zu haben. Hier strengen mich die Stunden auf der Arbeit so sehr an, dass nichts anderes am Tag mehr möglich ist. Das stört mich sehr, doch kommt die Kraft auch einfach nicht wieder. Vielleicht verarbeite ich immer noch zu viele Eindrücke, obwohl ich das Gefühl habe, mittlerweile schon alles in meiner Umgebung zu kennen.
Seit Dezember versuche ich gegen diese Kraftlosigkeit vorzugehen und mich für neue Hobbys zu motivieren. So habe ich jetzt begonnen, ins Gym zu gehen, um mehr Sport zu treiben und etwas für meinen Körper zu tun. Das ist zwar regelmäßig eine Überwindung, jedoch geht es mir danach viel besser und ich habe neue Energie. (Mal schauen, wie lange ich das jetzt durchhalte.) Außerdem werde ich zusammen mit Emma, Kati und Linde im Januar anfangen, noch einmal Spanischunterricht zu nehmen, um meinen Lernprozess wieder voranzutreiben. Derzeit habe ich nämlich leider das Gefühl, dass dieser Prozess stagniert. Zusätzlich habe ich wieder angefangen, mehr Bücher zu lesen und bin derzeit dabei, mich nach möglichen Studienrichtungen umzusehen, da das Thema: „Was mache ich nach meinem Auslandsjahr?“, immer mehr in den Vordergrund rückt.
Zu Weihnachten war ich das erste Mal alleine mit meiner Gastfamilie, da meine Mitbewohnerin Linde Besuch von ihren Eltern bekommen hatte und mit ihnen auf Reisen war. Die Vorweihnachtszeit war eher nicht sonderlich weihnachtlich. Seit November stand schon unser Baum, viel mehr Schmuck hatten wir aber auch nicht. Durch das immer gleichbleibend warme Wetter, den damit einhergehenden fehlenden Herbst und Schnee kam ich nicht in diese kuschlige vorweihnachtliche Stimmung. Selbst das Plätzchen backen mit meinen Freundinnen, Weihnachtsfilme gucken und weihnachtliche Musik hören, änderten an diesem Gefühl nichts. Im Nachhinein muss ich sagen, dass dies vielleicht auch gar nicht so schlecht war, da ich so weniger Heimweh hatte. Es war so anders als zu Hause in Deutschland, dass ich mein gewohntes Weihnachten nicht wirklich vermisst habe. Am 24. Dezember telefonierte ich mit meiner Familie, die mich übers Telefon bei ihrer Bescherung dabei sein ließ. Das war eine wirklich schöne Sache und fühlte sich fast schon so an, als wäre ich dabei. Sogar für mich lag ein kleines Geschenk unter ihrem Weihnachtsbaum, eine Schallplatte von einer meiner Lieblingsband. Über diese kleine Überraschung freute ich mich wirklich sehr.
Als ich wieder zu Hause angekommen war, fragte mich meine Gastmama Fanny, ob ich dabei sein wolle, wenn sie und mein Gastpapa Loren einer Verwandten, die sehr krank ist, ein kleines Geschenk in Form von Lebensmitteln vorbeibringen würden. Ich stimmte zu und so fuhren wir zu einem kleinen, heruntergekommenen Haus. Ein Pfleger nahm uns in Empfang und führte uns zu dem alten kranken Ehepaar. Die Beiden waren für mich ein sehr schwieriger Anblick, den ich auch nicht mehr vergessen werde. Lorens ältere Schwester konnte nicht mehr sprechen, zitterte stark und versuchte gerade Brei zu essen. Ihr Ehemann erkannte seine Familie nicht, begann schließlich sogar zu weinen, weil es ihm nicht gut ging und konnte nur sehr unverständlich sprechen. Die Beiden können alleine gar nichts mehr, erklärte uns der Pfleger. Er kam täglich vorbei, um ihnen Essen zu kochen und sie ab und an zu waschen; in der Zwischenzeit waren sie auf sich allein gestellt. In Deutschland wären die Beiden vermutlich in einem Altersheim, hier scheint es so etwas nicht zu geben. Der Anblick beschäftigt mich noch immer. Zurück zu Hause aß ich zusammen mit meinen Gasteltern, meiner Gastschwester Ruth und der Familie meines Gastbruders zu Abend. Es gab Reste vom Mittagessen: Reis, Huhn, Gemüse und für mich einen vegetarischen Taler.
So richtig Weihnachten feierten wir erst am 25. Dezember. Fanny hatte mich zuvor gefragt, ob ich mit in die Kirche kommen würde und ich stimmte zu. Als wir kurz nach 9 Uhr ankamen, waren schon einige Leute da und sangen spanischen Lobpreis. Die Leute sangen, klatschten und tanzten zu der Musik, die live von einem Chor vorgetragen wurde. Ich fühlte mich sofort richtig wohl. Der Gottesdienst ging ungefähr zwei Stunden lang und über die Zeit füllte sich die Halle komplett. Wir sahen ein kurzes modernes Krippenspiel, eine Tanzgruppe, einen Kinderchor und eine Predigt, von der ich tatsächlich einen Großteil verstand. Zum Abschluss bekam jede Familie eine Tüte mit Süßigkeiten geschenkt. Wie ich lernte, sind diese Tütchen hier eine Tradition. Man kann sie fertig gepackt im Supermarkt kaufen und verschenkt diese an alle Leute, die man kennt und gern beschenken würde. Meine Gastschwester meinte, dass die Kinder immer viel zu viele Tüten davon bekommen würden und die Weihnachtszeit geprägt von diesen Süßigkeiten ist. Ich finde das eine echt schöne Tradition. Nach der Kirche gab es ein gemeinsames Truthahn-Essen mit der Familie. Meine Gasteltern waren sehr stolz, sich einen Truthahn leisten zu können, da die hier schon recht teuer sind. Weil ich wusste, wie besonders dieses Essen für meine Gastfamilie war, kostete ich, obwohl ich eigentlich Vegetarierin bin, auch etwas vom Truthahn, worüber sich Fanny sehr freute. Ich war glücklich, ihr diesen Gefallen machen zu können und somit auch etwas Dankbarkeit zu zeigen. Geschenke sind in meiner Gastfamilie kein großes Ding. Lucas, der Enkel von Fanny und Loren, bekam ein kleines Spielzeug, die anderen schenkten sich untereinander Socken. Für Linde und mich hatte Lucas ein Armband aus Perlen gebastelt, worüber ich mich sehr freute. Wir beide hatten im Vorhinein zusammen Butterplätzchen und Cookies gebacken und so schenkte ich allen Familienmitgliedern eine Tüte mit typisch deutschen Plätzchen. Fanny freute sich sehr und fand sie super lecker, weshalb sie mich bat, ihr Plätzchen backen beizubringen. Dies wurde dann zu unserer Nachmittagsgestaltung. Ich machte Plätzchenteig, stach zusammen mit Lucas kleine Herzen sowie Sterne aus und verzierte später noch zusammen mit Fanny und Lucas‘ Mama die fertigen Plätzchen mit einem Zitronenzuckerguss. Das gemeinsame Backen machte mich sehr glücklich und gab mir das Gefühl, dass wir zum ersten Mal richtig kulturellen Austausch betrieben.
Nach Weihnachten fuhr ich zusammen mit meinen Freundinnen an die Küste. Zuerst besuchten wir Puerto López und die Isla de la Plata, eine Insel, die auch als Minigalápagos bekannt ist. Wir verbrachten sehr schöne Stunden am Strand, gingen Schnorcheln und sahen einen Seelöwen, Meeresschildkröten, Delfine sowie Blaufußtölpel. Obwohl ich schon öfter Trips in Ecuador gemacht habe, fühlte sich diese Reise zum ersten Mal richtig nach Urlaub an.
Nach ein paar Tagen wechselten wir unseren Standort und verbrachten Silvester am Strand in Montanita zusammen mit den anderen Freiwilligen unserer Organisation. Silvester am Meer zu verbringen, eine kurze Hose sowie ein Top zu tragen und 0 Uhr ins Meer rennen zu können, während über einem ein Feuerwerk den Himmel erhellt, war für mich eine komplett neue Erfahrung, an die ich mich sicher noch lange erinnern werde.
Eine Tradition in Ecuador ist es, am Silvesterabend Puppen aus Pappmaschee, mit ganz verschiedenen Bemalungen und Größen, zu verbrennen. Man lässt durch diese Tradition alles Schlechte im alten Jahr. Des Weiteren haben die Farben, die man Silvester trägt, eine Bedeutung dafür, was man sich im nächsten Jahr wünscht. So steht beispielsweise rot für die Liebe und gelb für Geld.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich die Möglichkeit dazu habe, Feiertage wie diese in einer anderen, für mich zuvor fremden Kultur feiern zu dürfen und somit auch neue Traditionen kennenzulernen. Die Tage mit meiner Gastfamilie sowie am Meer haben mir sehr gut gefallen und ich bin schon gespannt, was die nächsten Monate so mit sich bringen werden.
Falls ihr interessiert seid an noch mehr Bildern sowie Eindrücken, könnt ihr gern meinem Instagram-Account „jojoenecuador“ folgen. Dort kommen hoffentlich weiterhin regelmäßige Updates über meinen Freiwilligendienst.
Liebe Grüße aus Ecuador
Schon fast zwei Monate arbeite ich schon in meinem Projekt in Quito, Ecuador. Kaum zu glauben wie schnell die Zeit vergangen ist und dass ich mich inzwischen schon so gut hier eingelebt habe. Ich weiß noch genau wie nervös ich vor dem Beginn des Freiwilligendienstes war. Doch die meisten Unsicherheiten sind heute verflogen und ich bin froh mich so gut in meinem Projekt und in meiner Gastfamilie eingelebt zu haben.
Start des Freiwilligendienstes
Durch Corona und Visumsprobleme wurde die Einreise für die anderen Freiwilligen dieses Jahr leider immer wieder nach hinten verschoben. Vor allem die Beschaffung des Visums war der Grund dafür, dass der Freiwilligendienstes auch für mich erst am 22.10 begonnen hat. Leider hatten bis dahin nur ich und ein weiter Freiwilliger das Visum für Ecuador, also starteten wir das Abenteuer Ecuador erstmal nur zu zweit. Nach der Ankunft fuhren wir zu der Unterkunft wo das Vorbereitungs-Wochenende stattfand. Dort verbrachten wir ein schönes und informatives Wochenende mit unserer Koordinatorin in einer sehr lockeren Atmosphäre. Wir erfuhren viel Neues zum Beispiel die Kultur Ecuadors, Reiseziele, Sicherheitsmaßnahmen und Co. Auch hatten wir viel Spaß gemeinsam zu kochen und verschiedene traditionelle Gerichte und tropische Früchte kennenzulernen. Das Wochenende ging schnell vorbei und für mich ging es dann endlich zu meiner Gastfamilie in Quito.
Meine Gastfamilie
Bei meiner Ankunft wurde ich herzlich von meiner Gastmutter begrüßt und ich fühlte mich sofort zu Hause. Meine Gastfamilie besteht aus meiner Gastmutter und meinem Gastbruder. Außerdem wird noch ein Mitfreiwilliger einziehen, welcher mit den Restlichen Freiwilligen verspätet nach Ecuador kommt wegen langwieriger Visabeantragung. Meine Gastfamilie ist auch Teil von meinem Projekt. Meine Gastmutter ist gleichzeitig die Direktorin von meinem Projekt „Angeles de Cuatro Patas“ (Engel auf vier Beinen) und mein Gastbruder ist Therapeut und arbeitet mit den Kindern im Projekt. Ich lebe hier mit insgesamt 20 Pferden, zwei Eseln und 30 Hunden, welche mir morgens durch das Bellen als Wecker dienen.
Das Projekt „Ángeles de Cuatro Patas“
Mein Weltwärts Projekt bietet Kindern und Jugendlichen mit leichten oder chronischen Beeinträchtigungen seit 20 Jahren Aktivitäten auf ihrem Gelände an. Die Organisation gestaltet Therapien mit Pferden, die sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit physischen und/oder psychischen Beeinträchtigungen richten. Das Projekt hat zum Ziel möglichst vielen Menschen den Zugang zu den geeigneten Therapieformen zu ermöglichen. Zur Zielgruppe gehören z.B. Patient*innen mit Autismus, Down Syndrom, psychischen Erkrankungen verschiedener Arten, Aufmerksamkeitsdefizit oder körperlichen Einschränkungen und Behinderungen. Das Projekt arbeitet zudem mit vielen Straßenhunden, denen in dem Projekt ein neues Zuhause und mehr Lebensqualität gegeben wird.
Meine Aufgabe im Projekt ist vor allem zu einem die Therapien zu begleiten, indem ich die Kinder beim Gehen sichere, damit sie nicht runterfallen, oder hilfreiche Spiele mit ihnen spiele. Ich helfe aber auch auf dem Hof mit, z.B. die Pferde zu füttern, auszumisten oder zu striegeln. Es gibt aber immer unterschiedliche Dinge zu tun, zum Beispiel habe ich neulich dabei geholfen, die neu gebauten Ställe zu streichen. Im Projekt gibt es noch andere Mitarbeiter, welche sehr freundlich sind und mir gezeigt haben, wie ich richtig mit den Kindern arbeite und andere Aufgaben erledigen kann. Auch gibt es weitere Freiwillige die nur über eine kurze Zeit im Projekt arbeiten, mit ihnen verstehe ich mich auch sehr gut.
Die Möglichkeit nebenbei zu reisen
Worauf ich mich auch sehr bei meinem Freiwiligenjahr gefreut habe ist Ecuador besser kennenzulernen und Reisen zu können. So habe ich seit dem Beginn des Programms schon viel von Quito kennengelernt, war über ein langes Wochenende in Regenwald (nähe Tena), und über ein Wochenende mit einer anderen Freiwilligen aus meinem Projekt in Baños. In Quito ist die historische Altstadt wunderschön und es gibt u.a. viele Kirchen zu besichtigen. Etwas außerhalb liegt „Mitad del Mundo“ (Mittelt der Erde) wo der Äquator entlang läuft. Ein echtes Highlight war natürlich auch der Regenwald und Baños. Dort hatte man schöne Blicke von oben auf die Stadt und den Vulkan Tungurahua. Es gibt dort beeindruckende Wasserfälle und weitere touristische Aktivitäten wie riesige Schaukeln über dem Abgrund. Insgesamt hatte ich trotz einzelner Hürden und recht viel Regen, bis jetzt eine wunderschöne Zeit in Ecuador und freue mich das Land und die Menschen weiter kennenzulernen.
Die (Vor-)Weihnachtszeit habe ich besonders genossen. Seit Ende November ging es im Seniorenheim schon ordentlich los mit dem Schmücken der Gänge und Säale. Dabei waren Raoul und ich insgesamt mehr als eine Woche dafür eingespannt, Sterne, Tannengrün, Christbaumkugeln und vieles mehr in jeder erdenklichen Ecke des Heims anzubringen, sodass schließlich kaum ein Fleck zu finden war, der nicht nach der baldigen Ankunft Jesu schrie. Zeitgleich änderte auch Ambato sein Gesicht. Von Tag zu Tag war plötzlich mehr Weihnachtsdekoration zu sehen, bis schlussendlich sogar eine große LED-Leuchtanlage vor dem EAASA-Gebäude über den Dächern der Stadt installiert wurde, die die weihnachtliche Stimmung nicht mehr aus der Stadt entkommen ließ. Ich muss zwar auch zugeben, dass mir viel Schmuck nicht gefiel, da es sich erstens so gut wie immer um eher billig aussehende und grelle LED-Leuchtfiguren handelte oder die Verbindung zu Weihnachten kaum oder nur schwer zu erkennen war. (So standen im kompletten Parque Montalvo und Cevallos blaue, rote und gelbe LED-Leuchtvögel). Nichtsdestotrotz entdeckte ich genügend Orte, an denen mir die städtischen Verschönerungen zusagten und nicht unmaßgeblich zu meinem weihnachtlichen Wohlbefinden beitrugen.
Den Großteil meiner sich aufbauenden Weihnachtsstimmung zog ich aber definitiv aus den verschiedenen Aktivitäten im Altersheim. Ungefähr jeden zweiten Tag gab es im Dezember nämlich irgendeine Art von Fiesta, bei der entweder Tänzer, Studenten, Freiwillige, Schulklassen oder Künstler anderer Art von extern zu Besuch kamen, um ein Unterhaltungsprogramm zu veranstalten. Wer meinem Instagramblog folgt, hat davon sicherlich reichlich mitbekommen. Wie bei jeder anderen Art von reunión, durften dabei natürlich die obligatorischen Tanzeinlagen nicht fehlen. Besonders haben mir zwei Programme gefallen. Zum einen der Besuch der Schulklasse (mit Kindern im Alter von schätzungsweise sechs Jahren) und die traditionellen Tanzaufführungen von Studenten der Universidad Técnica de Ambato. Beim Anblick der Freude, die jegliche Präsentationen auch bei den Senioren ausgelöst haben, konnte man so den Moment voll und ganz genießen. Dies vor allem in Kombination mit den Weihnachtsmützen, die für die Senioren zum Dresscode zählten und die die meisten nach dem Ende der Programme selten wieder abgeben wollten.
Wie sich aus dem Beschriebenen sicherlich schon erahnen lässt, war der Dezember der bisher abwechslunsgsreichste Monat seit ich hier bin. Ab Mitte Dezember fingen wir zusätzlich noch an, für das Krippenspiel und den Tanz zu proben, der am 24. aufgeführt wurde. Das anfängliche Skript des Krippenspiels war dabei viel zu lang und kompliziert, weshalb wir vieles kürzten und am Ende ein schön kompaktes Schauspiel aufführen konnten. Ich bekam sogar die Rolle mit dem meisten Text, was aber auch nicht wirklich viel war. Als Erzengel Gabriel glänzte ich also schon bei den Proben, da mir Schauspiel durchaus Spaß macht. In einem schneeweißen Gewand mit goldenen Flügeln und grünem Kranz auf dem Haupt verkörperte ich am Heiligen Abend schließlich den Höchsten der Engel. Es war wirklich sehr schön zu sehen, wie viel Begeisterung wir dadurch sowohl bei Rentnern, Angestellten, Familienangehörigen sowie den Madres auslösen konnten. Das am Ende gesungene Noche de Paz (Stille Nacht, Heilige Nacht) rundete unseren Auftritt ab und der tosende Applaus ließ nicht lange auf sich warten. Eben so viel Spaß hatte ich beim Tanz, den wir mit einigen Senioren zusammen aufführten. Meine Tanzpartnerin Doña Elisa hatte zwar bis zum Ende die Schritte noch nicht so ganz raus, aber darum ging es natürlich überhaupt nicht. Allein unser Anblick mit Hut und Hemd und die Frauen in Kleid muss atemberaubend gewesen sein!
Da wir am 24. eigentlich nicht hätten arbeiten müssen, aber natürlich wegen des Programmes kamen, blieben wir auch nur bis zwölf Uhr und wurden – bevor man uns gehen ließ – noch mit Geschenken beglückt. Als wir dann gehen wollten, wurden wir nochmal zurückgerufen, da Madre Anamaria uns doch die größere Version des Geschenkes für uns vorgesehen hatte, uns aber ausversehen die Kleinere gab. Auch Maya, Tobi und Leon erhielten eine Tüte voll Süßigkeiten, weil sie zum Zuschauen gekommen waren.
Ich bin wirklich ein unglaublich großer Weihnachtsfan. Deshalb habe ich seit Beginn der Weihnachtszeit umso mehr angefangen, oft aber auch gerne an mein Zuhause zu denken und dadurch den Mangel an Weihnachtsstimmung enorm gespürt. Für meine Familie muss das ebenso ungewohnt gewesen sein, denn wo wir 2018 noch als ganze Familie das Weihnachtsfest feierten, fehlte plötzlich zwei Drittel der Jugend, die in die weite Welt hinausgeflogen waren. Bis zuletzt war ich zwar nicht besonders in Weihnachtsstimmung, schaffte es aber durch den für mich obligatorischen Kauf einer Weihnachtskerze für mein Zimmer und das Durchloopen des Weihnachtsoratoriums ein für mich gewohntes Ambiente zu erschaffen.
Am Heiligen Abend verbrachten wir dann den Vormittag alle zusammen auf der Couch mit reichlich Circus Halligalli Weihnachtsedition-Videos und später fing jeder allmählich an sich schick zu machen, die letzten Geschenke einzupacken, umzuordnen und im Wohnzimmer zu deponieren. Nebenbei füllte sich die ganze Wohnung sukzessive mit dem Geruch von Margoths Weihnachtsessen, das allein beim Riechen das Verlangen in einem weckte, direkt mit dem Cena Navideña loszulegen. Es gab Hühnchen, Pommes und eine Art Risottoreis mit Nüssen, Rosinen und verschiedenem Gemüse. Dazu einen Kirschlikör, den Margoth noch von einer Vorfreiwilligen aufbewahrt hatte, der aber leider viel stärker war, als wir zuerst annahmen, weshalb sich im Nachhinein ja irgendjemand um die Leerung der fast noch vollen Gläser kümmern müsste. An dieser Stelle verlangt es die Sittenkonformität nicht zu verraten, wer dieser jemand war. Vor Beginn des Essens erfolgte jedoch noch mein persönliches Highlight des letztjährigen Weihnachtsfestes: der Toast Margoths. Ich kann euch echt nicht sagen warum, aber Ansprachen jeglicher Art haben immer einen sehr emotionalen Effekt auf mich. Der Inhalt von Margoths Toasts ist grob auf Folgendes herunterzubrechen: unserer aller Zugehörigkeit zu ihrer Familie (da Maya, Tobi und Leon die Gastkinder ihrer Tochter sind und somit auch dazugehören), ihre Wertschätzung dessen, dass sie die Möglichkeit hat, so liebenswerte, junge Menschen wie uns empfangen zu können und ihre Offenheit, zu ihr kommen zu können, da sie wisse, wie schwer es sein kann, ein so familiäres Fest so weit von der Heimat entfernt zu feiern. Ehrlichgesagt kann ich mich gar nicht an jedes Detail erinnern, da ich am Ende reichlich damit beschäftigt war, meine Tränen zurückzuhalten.
Während des Essens wurde viel gelacht, zu Genüge nachgenommen und zumindest ich habe den Moment sehr genossen. Die durchlaufenden Reggaeton-Musikvideos mit halbnackten Frauen und super machistischen Texten auf Margoths neuem Fernseher taten dem Ganzen dabei wider Erwarten gar keinen Abbruch, sondern sorgten für gute Stimmung. In Folge dessen saßen wir noch bis um Mitternacht zusammen, mit Musik, Getränken und erwartender Gespanntheit. In Ecuador findet die Bescherung traditionellerweise um 25. Dezember statt, weshalb wir uns um null Uhr schließlich alle erneut die Weihnachtsumarmung gaben und an das Auspacken der Geschenke gingen. Wir alle haben gegenseitig an uns gedacht und Geschenke aus dem Herzen besorgt, was mich sehr glücklich gestimmt hat. Margoth beschenkte uns alle mit super schönen und flauschigen Schals, die bis heute – vor allem bei Tobi – zum Standardoutfit gehören.
So war also mein Weihnachten 2019. Das erste Mal in meinem Leben habe ich Weihnachten nicht Zuhause mit meiner Familie verbracht und ich dachte das wäre ein größeres Problem für mich. In all den Jahren habe ich an Weihnachten immer auch etwas dazu gelernt. Mit vermutlich zwei Jahren lernte mein vorwiegend dopamingesteuertes Gehirn wahrscheinlich, dass man an Weihnachten tolle Geschenke bekommt. Später machte sich die Erkenntnis breit, dass der Anlass zum Feiern doch die Ankunft Jesu sei. Mit reifendem Alter brannten sich typische Weihnachtslieder in den Kopf ein, der Kirchenbesuch, die Weihnachtsgeschichte, der wohlriechende und wunderschön leuchtende Weihnachtsbaum, das erste Krippenspiel, Omas Plätzchen, der Adventskranz und die einen verrücktmachende Spannung und Vorfreude auf die Heilige Nacht, deren Heranrücken der Schoko-Weihnachtskalender prophezeite. All das sei in Ehren gehalten, doch irgendwann wurde man sich doch des eigentlichen Weihnachtszaubers bewusst. Das Gefühl der Geborgenheit im liebevollen Umfeld der eigenen Familie. Doch die Lektion, die ich dieses Mal gelernt habe, hat mich doch den wahren Zauber Weihnachtens entdecken lassen, den ich schon längst als gefunden angesehen hatte. Der Zauber Weihnachtens wird nämlich jedem zuteil, der an egal welchem Ort dieser Erde in dieser Nacht in Gesellschaft feiert. So lange ging ich davon aus, dass das Vorortsein der eigenen Familie die Voraussetzung für ein (schönes) Weihnachtsfest sei, aber ich hätte mich nicht mehr irren können. Denn wer an diesem Tag auch nur mit einer einzigen anderen Person zusammen kommt, die er Bruder oder Schwester oder Freund oder Kollege oder Bekanntschaft oder Fremden nennt und deren er Gesellschaft genießt, der muss sich wahrlich glücklich schätzen.
Ich selbst habe das Fest der Liebe in bester Gesellschaft verbracht. Eigentlich finde ich es ja total kitschig und emotional überladen von „zweiter Familie“ zu sprechen, aber ich habe mich tatsächlich wie in einer Familie gefühlt. Das schätze ich sehr. Ja, es war zum Teil schon sehr anders als in Deutschland. Nein, das war vor allem im Rückblick gar nicht schlimm, sondern erfrischend und erkenntnisreich. Trotz der positiven Gefühle, die ich nun damit verbinde, spürte ich das Heimweh hingegen stark. Doch sowohl die Tatsache, dass der Dezember und insbesondere Weihnachten der Monat der markantesten Melancholie und Traurigkeit wegen Heimwehgefühlen war, als auch die Tatsache, dass ich mein Weihnachtsfest enorm genossen habe, zeigen mir gleichermaßen, wer ich bin. Und diese Frage hat mich vor allem im Nachgang und über Silvester besonders beschäftigt. Denn ich bin mir in meiner Zeit hier schon einiger Dinge meines Charakters bewusster geworden und kann durchaus eine Charakterentwicklung feststellen, die mich sehr fasziniert. Doch darüber möchte ich in meinem nächsten Blogeintrag schreiben.
Zum Schluss möchte ich noch eine letzte Sache loswerden, die an das Geschriebene anknüpft. Vor einem halben Jahr hatte ich noch eine so klare und einzigartige Definition von Heimat und Familie. Und diese werde ich auch immer im Hinterkopf behalten, denn sie ist richtig, aber eben nicht die Einzige. Ich möchte damit auch nicht sagen, dass Heimat und Familie überall ist oder überall sein kann, denn das wäre zumindest für mich auch nicht richtig. Leider muss ich dabei auch wieder die Keule der Relativierung schwingen und sagen, dass das natürlich typabhängig ist, aber ich kann wirklich einem jeden nur ans Herz legen, seine eigenen Definitionsgrenzen von Heimat und Familie mal zu hinterfragen und durch ein praktisches Wagnis auszureizen. Das gilt weitergehend doch für so viele Dinge im Leben und es kann so bereichernd sein. Enden möchte ich heute mit einem Zitat, das meinem eigenen Munde entsprungen ist (super arrogant, ich weiß), als ich einer Mitfreiwilligen Mut zusprach (Wiedergabe sinngemäß): „Das Dümmste was du im Leben machen kannst, ist dein Leben lang die Dinge zu verfolgen, die du eh schon kannst. Etwas Neues ist immer angsteinflößend und zu Beginn frustrierend, aber verfolgst du das Neue, wirst du etwas Neues. Es gibt kein schöneres Gefühl.“
Von Montag bis Freitag zwischen acht und drei Uhr arbeite ich nun für knapp zehn Monate in dieser Einrichtung, die sich doch weniger von meinen Erfahrungen in deutschen Seniorenheimen unterscheidet als ich gedacht hatte. Typischerweise helfe ich zwischen acht und neun Uhr beim Frühstückausteilen, dem Anreichen und dem Abwasch. Die Senioren haben dabei immer die Möglichkeit zwischen Milch und Colada Morada (milchähnliches Süßgetränk mit verschieden Früchten) zu wählen. Dazu gibt es Bananen, Weißbrot und/oder ein Ei. Von neun bis elf mache ich in der Regel bei der Gymnastik mit, bei der stets mit Bällen, Holzstäben und Hula Hoop-Reifen hantiert wird. Am Ende wird ein Spiel gespielt, bei dem sich die Teilnehmer gegenübersitzen und es gilt den Ball durch den Reifen des Gegenübers zu werfen, was bei einem Treffer für große Begeisterung sorgt. Am meisten gefällt mir aber der Gesang und das Tanzen, da hierbei selbst senilsten Senioren aus sich herauskommen.
Um elf Uhr gibt es daraufhin auch schon Mittagessen und um zwölf Uhr dürfen Raoul und ich selbst essen. Das Essen ist immer sehr lecker und auch vielfältig (abgesehen vom Reis, der von Ecuador schwerer zu trennen ist Bier vom Oktoberfest). Schließlich folgen verschiedene Aktivitäten am Nachmittag von ein bis drei Uhr. Die Senioren halten sich die meiste Zeit in den beiden salónes auf, in denen zum Beispiel die Gymnastik, Spiele, Geburtstagsfeiern sowie freitags der Gottesdienst stattfinden. Nach dem Essen unterhalte ich mich meistens mit den Damen und Herren im Salon, von denen viele aufgrund ihrer Demenz jeden Tag neu entdecken, dass ich aus Deutschland komme, David heiße und sie mich zehn Monate an der Backe haben werden. Ansonsten animiere ich des Öfteren Bewohner zum Malen, Basteln oder Spazierengehen. Bei gutem Wetter (wie in den letzten Tagen mit sehr viel Sonne) genieße ich es zudem sehr, in zwei sehr schön gepflegten Innenhöfen zu sitzen, mit den Papageien Juanita und Pablito zu reden und mit Raoul Zitronen aus dem eigenen Garten des Heims zu pflücken, die so viel besser schmecken als in Deutschland.
Eine weitere Tatsache, die mich überrascht hat, war die Lockerheit und die humorvolle Art der Schwestern. Sor Esther, die für die meisten Dinge zuständig ist, ist eine noch relativ junge Dame, die ihr Leben Gott und der Hilfe am Nächsten gewidmet hat. Für mich ist es gleichzeitig faszinierend sowie verwunderlich, wie man seinen Alltag und seine Handlungen so strikt an einen Glauben oder eine Philosophie binden kann. Wie schon erwähnt wohnen alle Schwestern im Heim selbst und nehmen, soweit körperlich und seelisch noch möglich, aktiv an der Betreuung der Bewohner und Leitung des Heims teil. Anfänglich war ich sehr unsicher, ob und wie ich über konfliktgeladene Themen wie meinen Glauben, Homosexualität und Einstellungen zu Alkohol etc. reden könne. Das ist aber viel lockerer als gedacht. Zu Geburtstagfeiern von Angestellten oder Madres wird am Alkohol und an Torte nicht gespart, zudem Gesang und Tanz, die nicht fehlen dürfen. Raoul und ich wurden und werden sehr herzlich aufgenommen und in jegliche Art von Aktivitäten integriert, über Sprachbarrieren und Missverständnisse wird herzlich gelacht und wir wurden auch schon des Öfteren zu Aktivitäten außerhalb der Arbeit eingeladen, wie beispielsweise etwas zusammen zu essen oder zu trinken, abends auszugehen oder auf einen Studentenball zu gehen, zu dem uns vor zwei Wochen die Physiotherapiestudentinnen, die aktuell für fünf Monate im Altersheim Praxiserfahrungen sammeln, einluden.
Obwohl ich es wohl vermeiden sollte, bestimmten Bewohnern mehr Aufmerksamkeit als anderen zukommen zu lassen, ist es so, dass ich mit einigen mehr Zeit verbringe als mit anderen, was meiner Meinung nach zu einem bestimmten Grad aber auch natürlich ist. Insgesamt war ich erstaunt, wie viele Bewohner trotz des hohen Alters geistig und körperlich noch so fit sind. Besonders genieße ich dabei die Betreuung eines älteren Herren, über den ich nun etwas berichten will. Don Carlos Arcurio ist 100 Jahre alt, stark dement und fast komplett blind. Anfänglich ist er mir kaum aufgefallen, da er aufgrund seiner Blindheit von den meisten Aktivitäten ausgeschlossen bleibt und dementsprechend meistens stillschweigend auf seinem Stuhl im Salon sitzt. Der Kontakt mit Don Carlitos ist auf eine sehr befremdliche Weise herzerwärmend sowie -zerreißend. Auf der einen Seite beteuert er zum Beispiel immer seine Unnützlichkeit für sich selbst und seine Mitmenschen, da er ständig Dinge vergesse, nicht gut sehe und vielen eine Last sei. Auf der anderen Seite jedoch drückt er doch umso öfter seine Dankbarkeit gegenüber Gott und den Pflegern und Pflegerinnen aus, die ihm helfen. Wenn er sich von seinem Stuhl erhebt, will er meistens in sein Zimmer oder in sein Haus in der Calle Número 6, wo er wohl gelebt hat. Wenn man ihm nun dabei hilft, an sein Ziel zu gelangen, überhäuft er einen geradezu mit Worten des Dankes und einem wundervollen Lächeln, das in Verbindung mit seiner gebrechlichen Stimme und Physis unglaublich belohnend ist. Genauso ist Don Carlos für mich aber auch der Beweis dafür, dass das Leben das ist, was man daraus macht und woran man festhält. So wie fast alle anderen Bewohner ist nämlich auch er sehr religiös und zieht viel Stärke aus seinem Vertrauen in Gott. Er ist sich nämlich durchaus seines Leidens in gewissen Aspekten bewusst, schafft es jedoch immer die Dinge wertzuschätzen, die ihm noch bleiben. Bisher verging kein Tag, an dem er sich nicht für mein Dasein, das der Pflegekräfte und seine Gesundheit bedankt hat. „Estoy disfrutando la vida hasta que permita Dios“ („Ich genieße das Leben, solange Gott es erlaubt.“) ist eine der Äußerungen, die mir sehr eindrücklich im Gedächtnis geblieben ist. Besonders in Verbindung mit der großen Vaterlandsliebe finde ich das sehr interessant. Jeder Rentner erzählt mit größter Begeisterung von seinem Heimatort, den diversen Nationalgerichten, der atemberaubenden Natur und der Offenherzigkeit des ecuadorianischen Volkes. Bei den meisten dementen Bewohnern versuche ich gar nicht erst, ihnen meinen Namen beizubringen, doch im Gespräch mit Don Carlos kam ich eines Tages darauf zu sprechen, dass ich Deutscher mit spanischer Familie sei, der zehn Monate in Ecuador bleiben wird. Darauf meinte er ironischerweise, dass ich somit ja drei Nationalitäten habe. Warum ich das erzähle? Seit diesem Tag weiß er immer sofort wer ich bin, sobald ich mit dem „¡Soy el chico con las tres nacionalidades!“ („Ich bin der Junge mit den drei Nationalitäten!) um die Ecke komme. Mittlerweile hat er dadurch sogar meinen Namen gelernt und erinnert sich auch fast jedes Mal daran. Das fühlt sich wirklich gut an und gibt einem das Gefühl, diesem Mann in seinem Lebensabend noch eine Freude bieten zu können. Trotzdem bleibt es eine bittersüße Freude in mir, denn so gerne wie ich am liebsten mehr Zeit mit den Bewohnern verbringen würde, ist mir auch klar, dass mein „Wirken“ während meiner Arbeitszeit immer nur temporär sein wird, vor allem bei den Demenzkranken.
Weitere interessante Erfahrungen konnte ich durch Don Milton Viteri sammeln. Don Milton kann relativ gut deutsch sprechen, da er Deutschlehrer an einem Colegio (vergleichbar mit dem Gymnasium) in Quito war. Direkt am ersten Tag, als ich den Senioren im Essenssaal vorgestellt wurde, kam er von seinem Einzeltisch in der Ecke nach vorne gelaufen um mich mit „Herzlich Willkommen, ich heiße mich Milton!“ zu begrüßen. Seit Beginn pflege ich somit sehr frequentierten Kontakt mit Señor Milton. Insgesamt ist er einer der körperlich und seelisch fittesten Bewohner und sehr lebensfreudig und intelligent. Er weiß zum Beispiel sehr viel über deutsche Geschichte so wie Geschichte im Allgemeinen, gesunde Ernährung, sein Heimatland und die katholische Religion. Obwohl ich ihn wirklich in mein Herz geschlossen habe und auch alle Angestellten ihn und mich als Traumpaar abstempeln, driften die Unterhaltungen mit ihm manchmal in etwas merkwürdige Richtungen ab. Er ist zum Beispiel fest davon überzeugt, dass die Deutschen, Spanier und Latinos die „besten Rassen“ der Welt seien und eine Allianz formen müssten. Um dieses Ziel voranzutreiben, erzählt er mir des Öfteren von seinem Traum einer deutsch-ecuadorianischen Universität, die er und ich zusammen eröffnen sollen. Zudem solle ich allen Bewohnern das Vater Unser auf Deutsch beibringen, wie ich es bei ihm auf seinen Wunsch hin schon getan habe. Seine neuste Idee ist nun ein bilinguales Sachbuch über ausgewogene Ernährung, denn darüber weiß er wirklich erstaunlich viel. Er hat nämlich einen riesigen Ordner über alle möglichen Vitamine und Kohlenhydrate, die optimalen Essenszeiten und verschiedene Modelle der Ernährungspyramide. Zu seinem Leidwesen kann er diese Modelle durch die seiner Meinung nach mageren und schlecht schmeckenden Mahlzeiten kaum realisieren. Da er Diabetes hat, darf er zusätzlich nur sehr rationiert Süßes sowie Früchte mit viel Fruchtzucker konsumieren, was ihm ganz und gar nicht gefällt. So will er alle paar Tage mit mir in den Supermarkt, um Bananen und Äpfel zu kaufen und behauptet er habe die Erlaubnis, das Heim alleine zu verlassen (die de facto nur zwei der 72 Bewohner haben). Während unseres Ausflugs nach Salcedo letzte Woche nutze er dann die Chance, in einen Supermarkt zu flüchten und wollte nicht mehr gehen. Als wir ihn dann zurückbegleiteten, nahm ihm die Oberschwester direkt alle Einkäufe weg, weshalb er den Rest des Tages ziemlich böse war. Am schwierigsten sind jedoch die Gespräche, in denen er rücksichtslos über die Libanesen herzieht. Seiner Meinung nach sei dieses Volk das größte Übel, das Ecuador je passiert sei. Sein Lieblingsbeispiel ist dabei der ehemalige Präsident Jaime Roldós Aguilera, der eine Ecuadorianerin mit libanesischen Wurzeln heiratete. 1981 starben beide in einem Flugzeugunglück und allgemein wird wohl angenommen, dass ein technischer oder menschlicher Fehler des Piloten der Grund war.
Don Milton hingegen ist fest davon überzeugt, dass die libanesische Großfamilie der Ehefrau Roldós‘ für den Unfall verantwortlich gewesen sei. Die kategorische Ablehnung des libanesischen Volkes ist in ihm auf jeden Fall so stark verankert, dass man mit ihm wirklich kaum darüber reden kann, zumal mein Spanisch natürlich keine perfekten Argumentationsketten zulässt. Deshalb gehe ich diesen Gesprächen eigentlich nunmehr aus dem Weg, den jeglicher Appell an ihn scheint vergebens. Um ehrlich zu sein, habe ich auch keine Ahnung, wie ich damit adäquat umgehen soll. Abgesehen vom vehementen Widerspruch oder Hinterfragung seiner Aussagen bleibt mir nicht viel übrig. Ich bemühe mich aber umso mehr, in Gesprächen mit interessierten Bewohnern über Deutschlands Geschichte der letzten 100 Jahre, kulturelle Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Überraschungen aufzuklären. Unter anderem: „Nein, die Mauer steht nicht mehr, die erste und zweite Strophe der deutschen Hymne sind heutzutage aufgrund des Inhalts verboten und in Deutschland findet eine konstruktiv-distanzierende Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit statt.“ Manche Senioren wissen dabei wirklich erstaunlich viel über Deutschland, andere hören gespannt zu, wenn ich den einen oder anderen Irrglauben aufkläre. Ebenso hellhörig bin ich aber auch, wenn mir über lohnenswerte Reiseziele, geschichtliche Anekdoten, aktuelle politische Einschätzungen oder Zukunftsprognosen erzählt wird. Der Austausch läuft also aus meiner Sicht echt gut, denn ich glaube beide Seiten lernen so viel mehr über die jeweils andere, als man aus einem Lehrbuch je könnte.
Ich bin jetzt seit dem 1. September hier in Ecuador. Der Weg hierher war manchmal nicht so einfach. Zum einen saß ich sehr oft in der Straßenbahn, um mich von der Tropenmedizinerin impfen zu lassen. Zum anderen habe ich für das Visum ewig in Warteschleifen gehangen und musste sogar nach Berlin fahren, um es dort abzuholen. Als dies dann erledigt war, habe ich meine letzten Tage in Deutschland damit verbracht, letzte Vorbereitungen zu treffen und mich, nicht ohne Tränen, von meinen Freunden zu verabschieden. Mittwoch Nacht bin ich dann mit meiner Familie zum Flughafen nach Düsseldorf gefahren. Nachdem ich auch meine Familie noch ein letztes Mal umarmt hatte, bin ich mit drei anderen Freiwilligen zuerst nach Amsterdam geflogen. Dort haben wir die anderen getroffen und sind dann zu Zwölft in den Flieger nach Quito gestiegen. Nach elf Stunden sind wir gelandet und wurden dann vom Flughafen zu einer Unterkunft gebracht, wo wir die nächsten beiden Tage unter der Betreuung von FIIDES verbracht haben.
Am ersten Abend sind wir direkt nach dem Essen eingeschlafen, weil viele von uns wegen des Jetlags ziemlich müde waren. Der nächste Tag brachte dann auch die ersten Herausforderungen mit sich. Das Treppensteigen wurde wegen der Höhe plötzlich anstrengend und es war gewöhnungsbedürftig, das Klopapier in den Mülleimer anstatt in die Toilette zu werfen, da dies hier üblich ist. Auch sehr anders ist das Essen, welches meistens sehr lecker schmeckt. Vor allem das Gemüse, die Früchte und die Säfte, die es fast zu jeder Mahlzeit gibt, überzeugen mich sehr. Während des Camps haben wir uns noch mal auf die kommenden zehn Monate vorbereitet und sehr interessante Informationen erhalten. Außerdem haben wir am Abend zusammen gesungen und mehr oder weniger talentiert Salsa getanzt. Am dritten Tag haben wir erstmalig unsere Unterkunft verlassen und sind zum Supermarkt gegangen, wobei mir zum ersten Mal bewusst geworden ist, dass ich jetzt wirklich hier bin.
Am Nachmittag wurden wir von unseren Gastfamilien abgeholt. Dadurch, dass ich noch fast kein Spanisch kann, kamen dann die ersten Kommunikationsschwierigkeiten auf. Kati und ich können uns in unserer Gastfamilie zum Glück auch mit Englisch und ein paar Brocken Spanisch verständigen. Das Wochenende haben wir zuerst mit dem Auspacken unseres Koffers verbracht. Am Sonntag hatte dann unsere Gastschwester Geburtstag und wir haben mit ihren Cousinen und Cousins Fußball und UNO gespielt.
Am Montag bin ich dann sehr freundlich im Projekt empfangen worden. Wir sind drei Freiwillige an der Schule María Troncatti. Meistens bereite ich zusammen mit Linde Materialien für den Englischunterricht vor, weil wir beide eine Englischlehrerin unterstützen. In einem Klassenraum haben wir unsere eigene Idee umgesetzt und die Gegenstände dort mit englischen Begriffen beschriftet.
Mittlerweile fahre ich alleine mit dem Bus zum Projekt. Ich muss zwar nur zwei Stationen fahren, aber ich bin trotzdem jedes Mal sehr erleichtert, an der richtigen Haltestelle anzukommen. Der Straßenverkehr ist hier nämlich deutlich chaotischer als in Deutschland. Außerdem fallen direkt die vielen Straßenhunde auf, die man hier überall sieht. Die Menschen begegnen einem sehr freundlich und vor allem die herzlichen Umarmungen zur Begrüßung sind mir sehr sympathisch. Ich werde die nächste Zeit damit verbringen, weiter Spanisch zu lernen und Ecuador näher kennenzulernen und freue mich schon sehr darauf!!
Ich komme immer mehr hier in Ecuador an, habe jetzt meinen Alltag gefunden und schon viele schöne und ein paar nicht so schöne Erfahrungen gemacht. Hier möchte ich euch davon erzählen:
Mein Tag beginnt jeden morgen um 6, wenn Katis Wecker klingelt. Neben Früchten mit Müsli oder Toast (Brot vermisse ich ja schon…) gibt es manchmal auch Verde. Verde ist eine Kochbanane, die zum traditionellen Frühstück dazugehört und sehr lecker schmeckt. Nach dem Frühstück habe ich dann immer ein wenig Zeit, weil Kati schon eine halbe Stunde vor mir zu ihrem Projekt fährt. Je nach Motivation fahre ich mit dem Bus oder gehe zu Fuß zu meiner Schule. Wenn ich laufe, komme ich immer an dem gleichen Typen in gelben Gummistiefeln vorbei, der vor einer Autowerkstatt eine rote Fahne schwenken muss. Gerne hüpfe ich auf dem Weg noch in die Panaderia, also die Bäckerei, um mir als Stärkung für den Tag einen Empanada oder ein Schokobrötchen zu kaufen.
In der Schule angekommen, kann ich mich dann erstmal entspannen, weil das Lehrerzimmer morgens zum Frühstücken und zum Schminken genutzt wird. Wir sind mittlerweile vier Freiwillige an der Schule, was unsere Aufgaben deutlich minimiert hat. Es gibt an der Schule zwei Englischlehrerinnen, die wir Freiwilligen in ihrer Arbeit unterstützen sollen. Linde und ich helfen der Englischlehrerin der 4. bis 7. Klasse. Das bedeutet, dass wir sie in den Unterricht begleiten und dort für Tafelanschriebe verantwortlich sind, Hausaufgaben korrigieren oder herumgehen und versuchen, den Schüler:innen ihre Fragen zu beantworten und ihnen bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben zu helfen. Wir begleiten die Lehrerin aber nicht immer in den Unterricht, sondern tippen manchmal Aufgaben für die Schüler:innen ab oder malen Plakate für den Unterricht oder für verschiedene Feste.
Was ich am Projekt mag, sind die Einblicke in ecuadorianische Traditionen und besondere Aktivitäten. So haben wir am 2. November, dem Tag der Toten, Colada morada (ein warmes Beerengetränk) getrunken und Guaguas de pan gegessen. Zu den Fiestas de Quito haben wir geholfen, die Schule in rot und blau zu schmücken und Vorstellungen der Schüler:innen angeschaut. Ein Highlight war das 15-jährige Jubiläum der Gründung der Schule. In dieser Woche durften wir Lieder und Tänze kennenlernen, die die Kinder in traditioneller Kleidung vorgeführt haben.
Ich fühle mich wohl an der Schule, aber trotzdem bin ich mit meinem Projekt nicht ganz zufrieden, weil wir einfach zu viel Langeweile haben. Meistens können wir, nach unserem sowieso ziemlich kurzen Arbeitstag, noch etwas früher nach Hause fahren. Wenn ich aus dem Bus steige, werde ich von dem immer gleichen „Taxi, Veci, Taxi!!“ begrüßt, obwohl ich dieses Angebot noch an keinem Tag angenommen habe. Zuhause angekommen gibt es erstmal eine riesige Portion Mittagessen, weil meine Gastfamilie meistens nicht zu Abend isst. Das Mittagessen ist hier ähnlich wie in Deutschland, nur die Menge an Reis und Bohnen ist deutlich größer und die Menge an Nudeln deutlich kleiner. Um unserer Gastfamilie auch ein deutsches Gericht zu zeigen, haben Kati und ich unserer Gastmama beigebracht, wie man Spätzle macht.
In meiner Gastfamilie fühle ich mich sehr wohl und finde, dass Kati und ich sehr viel Glück haben. Vor allem unsere Gastmama ist sehr aufmerksam und liebevoll und interessiert sich sehr für uns. Sie respektiert auch, dass Kati und ich nicht jeden Tag ein Ei essen wollen, wie es hier oft üblich ist. Außerdem hat sie uns die Möglichkeit gegeben, einen Adventskranz auf dem Esstisch aufzustellen. In der Gastfamilie habe ich gelernt, dass eine gute Kommunikation wirklich wichtig ist, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Das ist wegen dem Spanisch nicht immer einfach, aber ich verstehe sie mittlerweile ganz okay. Spanisch zu sprechen ist jedoch immer anstrengend und manchmal auch sehr frustrierend, wenn man einfach nicht richtig verstanden wird. Ich habe aber das Gefühl, dass mein Spanisch mit der Zeit immer besser wird.
Ich bin zwar sehr motiviert meine Zeit hier möglichst zu nutzen und zu genießen, mir ist aber wichtig zu erwähnen, dass der Alltag auch hier manchmal nervig und anstrengend ist. An den Wochenenden unternehmen wir deshalb gerne etwas in der Umgebung, was immer eine schöne Abwechslung darstellt. Bisher haben wir die Touri-Orte in Quito abgeklappert, haben verschiedene Museen und Märkte besucht, waren in einer Therme, sind mit einem Partybus gefahren und waren traditionell ecuadorianisch oder einfach Pizza und Lasagne essen. Außerdem haben wir auf dem Vulkan Pichincha eine kleine Tour auf Pferden gemacht, sind im Regen bei der besten Aussicht über ganz Quito wieder runtergelaufen und haben uns dabei ganz frei gefühlt.
Wir haben auch schon Wochendendtrips in andere Städte unternommen, um Ecuador möglichst gut kennenzulernen. Wir waren in Mindo und sind dort im Nebelwald zu einem Wasserfall gewandert und wurden auf dem Rückweg auf der Ladefläche eines Trucks mitgenommen. Wir waren in Mompiche, einem kleinen, nicht so touristischen Ort an der Küste. Dort haben wir tiefentspannt am Strand gelegen, Eis gegessen und Säfte getrunken. Außerdem haben wir dort auch eine Tour in den Regenwald gemacht und Brüllaffen, einen Pfeilgiftfrosch und ein sich verfärbendes Chamäleon gesehen. Zuletzt waren wir in Otavalo und haben dort eine sehr schöne Wanderung um einen Krater gemacht und uns auf dem traditionellen Markt dort verschiedene Kleinigkeiten gekauft.
Für mich ist es zur Normalität geworden nachmittags zum Gitarrenspiel meines Gastvaters nach Hause zu kommen, Hunden auf dem Bürgersteig auszuweichen, beim Busfahren ohne mitzählen zu müssen die Haltestellen zu erkennen und Getränke immer nur mit ein bisschen Zucker zu bestellen. Natürlich habe ich manchmal Heimweh und wünsche mich für einzelne Momente zurück zu meiner Familie und meinen Freunden, aber ich habe bemerkt, dass ich anfange weniger zu telefonieren und meine Aufmerksamkeit immer mehr auf die Gestaltung meiner Tage hier richte.
Über einen Monat ist jetzt schon mein Flug und somit meine Reise in ein neues Land her, in welchem ich für 9 Monate leben werde. Ecuador, eher aus einer Not herausgewählt, da eine Ausreise in mein eigentliches Zielland Südafrika, aufgrund der damaligen und auch jetzt vorherrschenden Corona-Situation, nicht möglich war. Quasi aus dem Bauch heraus habe ich mich dann für Ecuador und mein jetziges Projekt entschieden.
Mit kaum Spanischkenntnissen und als einziger Freiwilliger, der zum geplanten Zeitpunkt sein Visum erhalten hat, saß ich nun ohne weitere deutsche Freiwillige im Flugzeug. Selbst während des Fluges konnte ich noch nicht so wirklich realisieren, dass dieses Abenteuer jetzt beginnen würde und sich ein komplett neuer Lebensabschnitt eröffnet. Nach meiner rund 14-Stündigen Reise war ich nun endlich in Quito angekommen. Langsam realisierte ich jetzt auch, dass es wirklich los geht. Deutlich wurde das vor allem bei meiner ersten Taxifahrt vom Flughafen ins Hotel, wo die ersten drei Tage ein Einführungs-Seminar stattgefunden hat, der Verkehr ist nämlich sehr gewöhnungsbedürftig und deutlich ungeordneter als in Deutschland.
Die Seminartage
In den Seminartagen habe ich dann mit Lioba, einer weiteren Freiwilligen, welche schon seit Sommer in Ecuador ist, und Belén, meiner Ansprechpartnerin bei FIIDES (der Partnerorganisation vor Ort), herausgearbeitet, was die Organisation, die Familie, das Projekt und auch wir selber von uns erwarten. Zusätzlich sind wir auch auf kulturelle Unterschiede/Besonderheiten eingegangen, auf den Stellenwert des Glaubens, Freundschaften, Höflichkeitsformen, die Sicherheit, die Rolle der Frau, Do’s and Dont’s sowie mögliche Reiseziele.
Am Sonntagabend ging es dann für mich und Lioba zu unsere Gastfamilien. Erst verabschiedeten wir Lioba bei ihrer Gastfamilie in Quito und für mich ging es dann mit Belén ins knapp drei Stunden entfernte Ambato. Als ich dann endlich bei meiner Familie ankam, wurde ich sehr herzlich von meiner Gastmutter, Gastbruder und -schwester und Freunden der Familie in Empfang genommen.
Mein Projekt
In meinem Projekt, einem Waisenhaus für knapp 30 Kinder im Alter von 0-12 Jahren, wurde ich ebenso herzlich aufgenommen, wie in meiner Gastfamilie. Mir wurden im Beisein meiner Gastmutter und von Belén alle vier Gruppen vorgestellt und ich entschied mich schlussendlich für die Altersgruppe 2-4 Jahre. Durch meine begrenzten Spanischkenntnisse, da niemand im Projekt Englisch sprechen kann, war die Kommunikation recht schwierig. Oft musste ich meine Hände und Füße, Google oder Pons benutzen, um mich mit den anderen Mitarbeiter:innen zu verständigen, jedoch merkte ich, wie sich Tag für Tag mein Spanisch verbesserte. Während meines Arbeitstages half ich den Kindern beim Essen, Zähneputzen, auf Toilette gehen oder Aufgaben machen, dabei kam das Spielen jedoch nie zu kurz. Es ist immer wieder ein tolles Erlebnis in den Essensraum am Morgen zu kommen und von über beide Ohren strahlenden Kindern begrüßt zu werden oder mit ihnen draußen auf dem Spielplatz zu spielen. Es gab jedoch auch Sachen, die mich ein wenig schockierten, so müssen die Kinder eigentlich immer aufessen, auch wenn sie eigentlich nicht mehr wollen und es gibt nur in wenigen Fällen Ausnahmen. Des Weiteren haben viele Kinder aus meiner Gruppe Löcher in den Zähnen und auf eine richtige Zahnpflege wird durch die Betreuer wenig Wert gelegt. Ein weiterer Aspekt, welcher jedoch durch meine Auswahl selbstverschuldet war, ist, dass ich recht wenig Spanisch während meiner Arbeitszeit gesprochen habe. Dies lag vor allem daran, dass die Kinder selber noch nicht richtig sprechen konnten, aber auch ich noch nicht ausreichend verstand. Daher bin ich umso glücklicher, dass ich anfangs mit dem Leiter des Projekts abgesprochen hatte, dass ich die ersten vier Monate in einem 1-Monats-Turnus die Gruppen tausche, damit ich jede einmal kennenlerne und werde im nächsten Monat mit einer älteren Gruppe zusammenarbeiten.
Meine Gastfamilie
Die Gastfamilie besteht aus meiner Gastmutter Nancy Miranda Morales, meinen beiden Gastbrüdern Israel und Christian Morales, meiner Gastschwester Pamela und ihrer Tochter Noelia. Wir leben in einem Haus im Süden von Ambato und haben nebenan noch drei weitere Anlegerwohnungen, in welchen zwei unserer Nachbarn wohnen und mein Gastbruder Christian. Meine Gastmutter arbeitet als Leiterin der Putzkräfte in einem örtlichen Krankenhaus und besitzt zusätzlich noch ein kleines Geschäft in der Nähe unseres Hauses in welchem sie Klamotten und Taschen vertreibt. Meine beiden Gastbrüder sind Ingieneure, Israel arbeitet in einer Rosenfabrik in der Nähe von Quito und ist daher nur an den Wochenenden im Haus, Christian arbeitet in einer Glasfabrik nahe Ambato. Pamela, meine Gastschwester, studiert aktuell Psychotherapie und ist im dritten Semester. Ich habe mein eigenes kleines Zimmer in der Mitte des Hauses bekommen, was für mich vor allem Anfangs ein wenig eigenartig war, denn ich habe daher auch kein Fenster nach draußen. Doch ich habe mich recht schnell daran gewöhnt sowie daran, dass ich quasi alles höre, was in diesem Haus passiert, denn es passiert unmittelbar vor meinen Fenstern/meiner Tür.
Meine Freizeit
Außerhalb der Arbeit habe ich viel mit meiner Familie unternommen. Wir haben jedes Wochenende einen kleinen Tagestrip in eine andere Stadt/ ein anderes Dorf gemacht. Während der ganzen Trips konnte ich viele Gerichte, Früchte und Spezialitäten probieren und meine Familie zeigte mir ein paar Sehenswürdigkeiten sowie einen schönen Wasserfall in der Nähe von Baños. An einem Wochenende konnte ich abermals nach Quito und besuchte dort Lioba. Sie zeigte mir am Samstag die Altstadt und die Sehenswürdigkeit “Mitad del Mundo” und Sonntag fuhren wir nach Papallacta, wo wir einen Tag in den natürlich erwärmten Schwimmbädern einen Tag verbrachten. Wenn wir jedoch mal keinen unserer Kurztrips hatten oder ich selber unterwegs war, hatten wir an den Wochenenden so gut wie jeden Tag Besuch im Haus, sei es von der Familie einer Tante oder eines Onkels, Freunde der Familie oder den Nachbarn. Es war also fast immer was los und ich konnte viele neue Menschen und Familienmitglieder kennenlernen und mich mit ihnen austauschen. Da meine Gastschwester das gleiche Alter wie ich hat, konnte ich auch viel mit ihr zusammen machen, wir waren zusammen feiern, mit Freunden essen und haben Sachen erledigt. Auch meine beiden Gastbrüder habem mich immer zu integriert und nahmen mich bei Erledigungen mit und zeigten mir ein wenig die Stadt, so konnte ich mit meiner ganzen Familie gute Gespräche führen und mich gut einfügen. Christian geht, so wie ich auch, trainieren und bot mir an mit ihm zusammen in das Fitnessstudio zu gehen in welches ich nun aktiv nach der Arbeit gehe. Die Wochenenden und auch einige Feiertage, die ich hier schon hatte, waren aber teilweise auch mit Abstand die schwersten Tage, auch wenn wir immer mal wieder was unternahmen, denn ich wusste nicht, was ich tun sollte, wenn meine Familie nicht Zeit für mich hatte. Ich verbrachte so einige Zeit mit unbefriedigendem Nichtstun, unendlichem Netflix gucken oder Instagram scrollen, daher freute ich mich umso mehr auf die Ankunft der anderen deutschen Freiwilligen, um mit ihnen zu reisen, Sachen zu unternehmen und feiern zu gehen.
Abschließend gibt es eine Sache, welche mich seit meiner Ankunft immer wieder überrascht hat und zwar mit welcher Herzlichkeit und Offenheit mich die Menschen hier empfangen haben und ich freue mich auf die weitere Zeit hier!
Der Monat Dezember startete für mich mit einer Reise nach Quito zum Einführungsseminar der nun endlich auch angekommenen anderen Freiwilligen. Ich habe mich riesig über deren Ankunft und das Wiedersehen gefreut. Einerseits habe ich mich darüber gefreut, dass wir es alle nach dem schwierigen Visumsprozess und der anhaltenden Corona-Situation doch noch geschafft haben auszureisen, aber ich hatte auch schon eine gewisse Vorfreude auf die Zeit, die danach kommen würde. Mit deren Ankunft war ich mir nämlich sicher, dass die Zeit der leeren Wochenenden und Nachmittage vorbei sein würde und wir gemeinsam Sachen unternehmen. Da ich das Einführungsseminar jedoch schon einmal in kleinerer Form gemacht hatte, wiederholten sich die meisten Inhalte.
Es war dennoch spannend zu sehen, wie viel der vorgestellten Sachen ich schon erlebt hatte oder welche Verhaltensmuster und kulturelle Differenzen ich bereits selber kannte. Außerdem konnte ich durch den sehr informativen Vortrag des ehemaligen Professors von unserer Betreuerin Belén noch einmal einen tieferen Einblick in die Kultur, Geschichte, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Ecuadors erlangen. Wir lernten beispielsweise etwas über die verschiedenen Volksgruppen, welche in Ecuador leben und deren Anteil an der Bevölkerung sich leider stetig verringert, aber auch über einige Gründe für den politischen Richtungswechsel Ecuadors von einer sozialdemokratischen Regierung zu einer jetzt rechts-konservativen geführten Regierung. Zum Abschluss des Seminars machten wir noch einen gemeinsamen Salsa-Tanzkurs. Ich wusste, dass ich kein begnadeter Tänzer bin, aber es hat mir trotzdem viel Spaß gemacht und ich habe mir vorgenommen bald mit einem Tanzkurs zu beginnen.
Mir ist zudem während des Einführungsseminars aufgefallen, dass ich mich schon an manche Eigenschaften und Benimm-Etikette Ecuadors gewöhnt habe und auch selber übernommen habe. Während des Essens ist es für mich zum Beispiel zur Normalität geworden so ziemlich alles mit einem Löffel und gegebenenfalls der Hand zu essen, wie es in meiner Familie/Projekt üblich ist, wohingegen die Anderen größtenteils mit Messer und Gabel gegessen haben.
Aber nicht nur außerhalb des Projektes gab es eine Veränderung, da ich schon über einen Monat in meiner Gruppe gearbeitet habe, habe ich nach dem Einführungsseminar die Gruppe gewechselt. Ich arbeitete nun in der “Linea 3” mit Kindern im Alter von fünf bis acht Jahren zusammen. Die Gruppe ist im Gegensatz zu meiner vorherigen Gruppe deutlich entspannter. Dies liegt zum einen an deren fortgeschrittenen Alter. Die Kinder können ihre Handlungen und auch die Konsequenzen sowie mögliche Strafen reflektieren und es ist einfacher, mit den Kindern zu arbeiten oder ohne weitere Unterstützung auf diese aufzupassen. Die Gruppe ist außerdem deutlich kleiner als die Vorherige, was es noch einmal einfacher macht. Ich fungierte vor allem vormittags als eine Art Grundschul-Hilfe und half den Kindern beim Bearbeiten ihrer Aufgaben in den Fächern Mathematik, Grammatik oder Englisch.
Nachmittags hatte ich, sofern genug Kinder ihre Aufgaben gemacht hatten, dann Zeit, mit einigen draußen auf dem eigenen Spielplatz zu spielen. Auch in dieser Gruppe fiel wieder auf, wie schlecht die Zahnhygiene einiger Kinder ist und wie wenig Wert daraufgelegt wird. Zusätzlich schockte mich, wie gering die Hemmschwelle der Kinder war bei Konflikten Gewalt gegeneinander einzusetzen und verglich es anfangs teils mit meiner Grundschulzeit. Dies ist jedoch in keinem Fall vergleichbar, die Kinder, vor allem innerhalb der einzelnen Gruppen, sind eher als eine große Gruppe von Brüdern und Schwestern zu sehen, da sie dauerhaft zusammenleben und auch in einem Zimmer schlafen. Zwar legitimiert dies nicht die Nutzung von Gewalt untereinander, aber es lassen sich doch starke Parallelen zu meiner eigenen Beziehung zu meinem kleinen Bruder ziehen, die früher auch nicht immer ohne Streit und ohne körperlicher Gewalt auskam. Daher relativierte sich dies ein wenig für mich. Es war zudem sehr überraschend, wie bewusst sich manche Kinder des Alkoholmissbrauchs ihrer Eltern sind. Nachdem ich und eine weitere Freiwillige auf das Thema Alkoholkonsum gekommen sind, wurden wir erst von einigen als Alkoholiker bezeichnet und nach unserer Erklärung, was ein Alkoholiker sei, erzählten mehrere Kinder von ihrer Familiensituation. Sie schilderten dabei recht unbeeindruckt, dass ihre Eltern (insbesondere deren Vater) den ganzen Tag bzw. die ganze Nacht trinken. Zwar wusste ich, dass die Kinder nicht ohne Grund in das Waisenhaus kommen, aber dies machte ihre Situation nochmals realer und greifbarer.
Dezember ist Weihnachtszeit und so wurde auch die Stimmung im Waisenheim immer weihnachtlicher. Das Waisenheim in welchem wir arbeiten ist ein katholisches und die letzten zwei Wochen vor Weihnachten gab es nach dem Frühstück eine Art Gottesdienst, welcher oft von externen Musikern, Pastoren oder Animateuren begleitet wurde. In diesem wurde vor allem die Geschichte der Geburt Jesus thematisiert, aber es wurden auch kirchliche Weihnachtslieder gesungen und Spiele gespielt. Am Nachmittag fand dann oft ein unabhängiges Programm statt, bei welchem zum Beispiel eine Hüpfburg aufgebaut wurde, ein Ballettstück aufgeführt wurde oder ein Clown vorbeikam, um die Kinder zu unterhalten und ihnen eine schöne Weihnachtszeit zu bieten. Es war schön zu sehen, wie sehr sich die Kinder immer wieder auf den Tag freuten und enthusiastisch bei den Aktionen mitmachten. Zwischenzeitlich kamen auch immer wieder Privatpersonen oder örtliche Unternehmen vorbei, welche den Kindern ein kleines Geschenk mit Süßigkeiten und/oder ihren Produkten machten, was die Kinder riesig freute.
Gegensätzlich zu der ganzen weihnachtlichen Stimmung, von der ich umgeben war, kam ich nie wirklich in Weihnachtsstimmung, egal wie viele Weihnachtssongs ich um mich herum hörte, Weihnachtsdeko ich sah und Weihnachtsgeschichten Erzählungen ich hörte. Dies lag vor allem daran, dass ich mich durch das warme Klima (teilweise mehr als 20 Grad am Mittag) nicht wirklich winterlich fühlte, was für mich mit Weihnachten einhergeht. Außerdem fehlte mir ein wenig die Nähe der Familie durch ein gemeinsames Essen an Advent oder das gemeinsame Gucken eines Weihnachtsfilmes, was ich ein wenig vermisste. Auch das Geschenk kaufen lief anders ab, denn meine Familie entschied sich für Wichteln, dies kannte ich sonst nur aus der Schule.
An Weihnachten ging ich dann mit Saghar (einer deutschen Kurzzeit-Freiwilligen, welche seit Mitte Dezember mit in meiner Gastfamilie lebt und) und Moritz (ein anderer deutscher Langzeit-Freiwilliger von ODI) nochmals zum Projekt, um den Kindern und den Mitarbeitern ein frohes Fest zu wünschen. Anschließend haben wir drei bei Saghar und mir “Zuhause” gemeinsam mit meiner Gast-Schwester Pamela, ihrer Tochter Noelia und Benjamin (dem kleinen Gast-Neffen von Moritz) Plätzchen gebacken. Zum Abend hin haben wir uns dann für die Bescherung fertiggemacht und haben den Wichtel-Geschenkaustausch gemacht, bevor es zu der Gastfamilie von Moritz ging (unsere Gast-Mütter sind Schwestern), um gemeinsam zu Essen und zu Feiern. Mit reichlich Verspätung, aber unendlich gemachten Familienfotos, kamen wir dann bei der Familie von Moritz an. Wir aßen ein für Ecuador typisches Weihnachtsessen, Truthahn mit Reis und einem kleinen Salat. Im Anschluss gingen dann auch die Feierlichkeiten los. Es wurde ein wenig Wein, Whiskey und Sangria getrunken und bis um drei Uhr gemeinsam getanzt. In allem bin ich zwar nicht in die “typische” Weihnachtsstimmung gekommen, trotzdem war es ein sehr schönes und besonderes Weihnachtsfest und eine Weihnachtszeit während der ich viel Spaß hatte.
Wie anfangs erwähnt, habe ich mich vor allem auf das Reisen und das Entdecken des Landes mit den anderen Freiwilligen gefreut. Da diese nun endlich angekommen sind, konnte ich dies verwirklichen. Gemeinsam mit einer weiteren ecuadorianischen Freiwilligen aus unserem Projekt sind Moritz und ich am zweiten Dezemberwochenende in das naheliegende Baños gereist. Dort hat die ecuadorianische Freiwillige uns am Samstag die Stadt gezeigt und wir haben gemeinsam Cevi Chocho ein lateinamerikanisches Gericht mit Bohnen, Mais und einer Art Tomatensauce probiert. Sonntags ging es dann mit einer Chiva (einem kleinen Partybus) auf eine Wasserfalltour. Immer wieder fuhren wir an kleinen Wasserfällen vorbei und konnten die Aussicht genießen. Jedoch hielt die Chiva auch immer wieder für mehrere Minuten an kleinen Seilbahnen, an denen man über eine Schlucht fahren kann, was aber keiner von uns machen wollte und viel Zeit kostete. Am Schluss kamen wir dann am “Pailon del Diablo” an, welches das Highlight der Fahrt war und ein großer Wasserfall ist, zu dem zwei Wanderwege führen, welche eine wunderschöne Sicht auf den Wasserfall bieten.
An dem Wochenende danach war ich dann gleich wieder in Baños, diesmal jedoch mit fast allen anderen Freiwilligen unserer Gruppe und wir haben nochmals den “Pailon del Diablo” besucht, jedoch den anderen Wanderweg gewählt, welcher deutlich länger und durch den teilweise sehr engen Weg schwieriger war. Obwohl es an dem Tag stark geregnet hat und wir alle komplett durchnässt waren, war der Anblick unglaublich und man konnte sehen, was für eine Kraft Wasser entwickeln kann. Außerdem waren durch das schlechte Wetter sehr wenig Menschen vor Ort und wir hatten viel Zeit in Ruhe Bilder zu machen und den Weg zu bestreiten. Was diesen Trip zu einem meiner persönlichen Highlights meiner bisherigen Zeit machte. Zum Abschluss des Tages haben viele der Freiwilligen (inklusive mir) eine Art Bungee-Sprung für gerade einmal 20 Dollar gemacht. Bei dem Preis hat man ein wenig Sicherheitsbedenken, aber es war die Erfahrung wert. Der Moment vor dem Absprung, in welchem man sich dazu entschließt es durchzuziehen, ist Adrenalin pur!
Zum Abschluss des Jahres sind alle Freiwilligen gemeinsam an die Küste nach Manta gefahren, haben viele Strände besucht und uns reichlich Sonnenbrand geholt. Hier ist mir das erste Mal so richtig bewusst geworden, wie sehr wir doch auffallen. Baños ist eine Touristenstadt und daher wurden wir, auch wenn wir in einer großen Gruppe von Europäern unterwegs waren, nicht sonderlich beachtet. Anders in Manta, man merkte wie die Leute uns regelrecht anstarrten. Zwar waren wir auch eine große Gruppe anders aussehender und sprechender Menschen (insgesamt 14 Personen), trotzdem war es doch ein wenig befremdlich.
Dies gipfelte meiner Meinung nach an Silvester, wir feierten dies auf der Straße mit den Nachbarn unseres Hostels. Schon an den Stränden wurden mehrere Mädchen von Fremden nach gemeinsamen Bildern gefragt. Doch an Silvester wurde dies übertroffen, wir wurden alle, wie Zootiere, gefühlt dauerhaft gefilmt und fotografiert, was ich als sehr unangenehm empfand. Fotos und Videos gehören zu einer Feier und im speziellen Silvester dazu, aber nicht in diesem Ausmaß. Um Mitternacht wollten wir dann, etwas blauäugig, ein wenig die Straßen entlang ziehen. Zum Glück wurden wir gewarnt, ab einem Punkt nicht weiterzugehen. Wer weiß, was sonst passiert wäre. In allem bin und war ich sehr dankbar, dass die Menschen uns an ihrem Silvesterfest teilhaben lassen und möglicherweise vor etwas Schlimmen bewahrt haben, auch wenn die Fotos all dem einen faden Beigeschmack geliefert haben.